Blinder und tauber Gehorsam

Nicht nur Flieger, Balkonurlauber, Segler und Grillfans nehmen jetzt Abschied vom Herbst, auch die Jagdreiter. Die Saison der roten und schwarzen Röcke endet. Unvergesslich sind sie alle, die Jagden. Besonders aber die in der Göhrde, von der Klaus mir erzählte und seiner Erzählung vorwegnahm, dass Herbstjagden letztlich nichts für Zuschauer seien. Eigentlich nur für die Rockträger und ihre Vierbeiner. Was sich besonders in der Göhrde zeigte. Dort sammelten sie sich - wie überall - zum Sammeln: Die Pferde samt Reitern, dann die, die Pferd und Reiter sehen wollten, dann die, die beim Sehen gesehen werden wollten. Wie überall wurde den Zuschauern eine verlässliche Streckenführung zugesichert, wenn sie dem Führungsauto hinterherführen. Jedenfalls streckenweise würden die Seher dann Pferd und Reiter und Hunde und Bläser sehen und auch hören können. Entsprechend dem Signal Aufbruch zur Jagd brachen Pferd und Reiter, Hunde und Bläser auf und verschwanden in der dunklen Göhrde. Die lange Kolonne der Zuschauer-Autos brach weniger auf, als dass sie sich langsam in Bewegung setzte und wie ein Tausendfüßler zum ersten Ausguck, wo man die herrlichen Bilder von roten Röcken, den schallenden Hornsignalen und sich selbst in ihrer Nähe genießen konnte. Die Göhrde-Jagd wurde deshalb, erzählte Klaus, für die Zuschauer unvergesslich, weil die allermeisten Zuschauer sie gar nicht zu Gesicht bekamen, nicht mal zu Gehör. Und das kam, weil die Kolonne an einer Straßenkreuzung halten musste. Nach dem kurzen Halt fuhr das Führungsauto dann in die richtige Richtung und ein paar Nachfolger hinterher. Dann jedoch kam ein ganz und gar unjagdliches Auto aus einer ganz und gar anderen Richtung und fuhr in eine ebenso ganz und gar andere Richtung als das Führungsauto- und der Rest der Kolonne hing sich ahnungslos an den Ahnungslosen. Der größte Teil des Tausendfüßlers landete auf diese Weise statt auf einer malerischen Lichtung im tiefen, dunklen Wald - in Himbergen. Da dort weder Wald, geschweige Pferd und Reiter waren, machten sie kehrt und hatten Glück: Pünktlich zum Halali waren sie wieder alle zusammen, die roten und die schwarzen Röcke, die Pferde, die Bläser, die, die Reiter und Pferde und Bläser sehen und hören wollten und die, die beim Sehen gesehen werden wollten. Nein, Herbstjagden sind nichts für Zuschauer sagte Klaus und ging satteln. Für seine privateste Herbst-Jagd. Nur mit Claudia. Ohne Zuschauer.

5. November 2002